Schnell und entspannt unterwegs

03.08.2021 | Projekt des Monats August 2021
Wenn  Jürgen Friedrichs mit seinem orangenen ­Velomobil unterwegs ist, fällt er sofort auf: Das futuristische Liegefahrrad ist ein echter Hingucker und eine interessante Ergänzung im Straßenverkehr. Mit dem Vorsitzenden des Ebersberger Kreisverbandes des ADFC haben wir ein Gespräch geführt über das Velomobil, aber auch über das Radfahren im Landkreis Ebersberg.

Ein Fahrrad kennt jeder, Velomobile aber sind selten. Wie viele davon gibt es in der Region?
Es werden tatsächlich immer mehr - ich schätze, dass es im Landkreis Ebersberg ein knappes Dutzend gibt. Die Community ist aber groß, organisiert in einem Online-Forum.

Was ist der Reiz, mit so einem Gefährt unterwegs zu sein?
Der Reiz besteht darin, mit relativ wenig Kraft schnell und entspannt unterwegs zu sein. Hügelige Landschaften sind perfekt für ein Velomobil, da man den Schwung mitnehmen kann. Der Luftwiderstand spielt kaum noch eine Rolle, anstrengend ist eigentlich nur die Beschleunigung. Es erfüllt mich mit Stolz, dass ich nur mit Muskelkraft auch längere Strecken an einem Tag zurücklegen kann, z. B. von Ebersberg 280 Kilometer zu meinen Eltern nach Reutlingen – und dabei mit Gepäck einen Schnitt von 25 km/h zu fahren.
Den größten Vorteil des Velomobils sehe ich in seiner Unkompliziertheit und seinem Alltagsnutzen. Dazu muss man sagen, dass ich ein relativ großes und schweres Velomobil fahre. Der Alltagsnutzen ist z.?B., dass ich problemlos mein Tenorsaxophon, Notenständer, Laptop, Noten und weiteres Gepäck transportieren kann. Ein weiterer Vorteil ist, relativ geschützt vor Wetter und auch niedrigen Temperaturen zu sein.
 
Gibt es auch Nachteile, mit dem Velomobil unterwegs zu sein?
Den größten Nachteil sehe ich darin, dass man nun wirklich alle Strecken selbst fahren muss und nicht an irgendeinem Punkt mal sagen kann "lass' gut sein, zurück fahre ich mit der Bahn". Auch für den Pannenfall muss man entsprechende Werkzeuge/Ersatzteile und Fertigkeiten dabei haben, um mobil zu bleiben und nicht zu stranden. Aber die Velomobil-Community ist gut vernetzt und ich habe auch unterwegs schon Unterstützung erhalten.
 
Muss man für ein Velomobil besonders fit sein?
Als Voraussetzung würde ich es nicht sehen, denn die Fitness kommt wie bei allen Anstrengungen mit der Tätigkeit. Aber für neue Liegeradfahrer*innen gilt schon, dass sich zunächst eine andere Muskulatur aufbauen muss als beim normalen Radfahren. Was bedeutet, es kann schon sein, dass einem Neuling das Liegerad fahren zunächst anstrengender vorkommen kann als das gewohnte Zweirad. Dafür wird's hinterher umso entspannter. Um mal so ein Gefühl zu bekommen: In den vor-Corona-Zeiten bin ich mit Leichtigkeit täglich nach München gependelt, das waren knapp 35 Kilometer einfach, gebraucht habe ich dafür je nach Anstrengung zwischen 55 Minuten und 70 Minuten.

Lassen sich mit einem Velomobil auch Radwege nutzen oder ist es eher ein Straßenkreuzer?
Selbst vermeintlich gute Radwege sind aufgrund der Geschwindigkeiten, die man mit dem Velomobil auf der Ebene erreicht, meist ungeeignet. Andere Radfahrer, Fussgänger, schlechte Vorfahrtsregelungen, Drängelgitter, in der Stadt die kurzen Ampelphasen, überhaupt die Wegbeschaffenheit – das alles passt bei uns in der Regel nicht zu einem Velomobil. In Städten kommt noch dazu, dass zwischen Radweg und „Straße" häufig parkende Fahrzeuge die Sichtlinie versperren.
Letztendlich fahre ich mit dem Velomobil nur auf Radwegen, die ich entweder gut kenne oder mir der sonstige Verkehr auf der Straße kein zügiges Vorankommen gewährt - und wenn lange Strecken bergauf führen, denn dann bin ich besonders langsam.
Um auf die Frage zurück zu kommen: Ein Velomobil lebt davon, dass es effizient mit wenig Bremsen und wenig Beschleunigen gefahren wird - das ist auf hiesigen Radwegen kaum möglich. Man glaubt gar nicht, wie oft einem als Radfahrer an den niedrigsten Stellen, an denen man den Schwung eigentlich mitnehmen möchte, durch eine Verschwenkung oder eine Vorfahrtsänderung ausgebremst wird. Das trifft Velomobilfahrer:innen besonders hart und lässt mich lieber auf der Straße fahren. Auch ist die Sicherheit auf der Straße deutlich höher als auf einem Radweg, das gilt für Velomobile ganz besonders. Daher gehört es m.E. auch eindeutig auf die Straße und nicht auf den Radweg.
 
Wie reagieren andere Verkehrsteilnehmer auf das Velomobil?
Überwiegend positiv, man ist halt ein selten gesehener Exot. Auch werden Überholabstände eher eingehalten, vielleicht weil man nicht automatisch in die Kategorie "Radfahrer" einsortiert wird. Fußgänger grüßen, Kinder winken, Autofahrer hupen - überwiegend freundlich, so empfinde ich es zumindest. Und fast an jeder Ampel kommt man in ein kurzes Gespräch. Mir gefällt das, andere nervt das manchmal. Viele können sich auch nicht vorstellen, dass man so schnell ohne Motor unterwegs sein kann. Auch die Polizei München hat mich deswegen schon mehrfach kontrolliert, aber inzwischen kennt man solche Gefährte wohl.
 
Autos werden immer größer – steigt dadurch die Gefahr für Liegefahrradnutzer?
Das gefühlte Risiko im Velomobil empfinde ich nicht unbedingt sehr viel größer, weil ich ja doch meistens auf der Straße fahre. Riskant sind Situationen, bei denen Autofahrende, die hinter dem Velomobil bleiben, selbst knapp überholt werden, weil der Dahinterfahrende die Ursache für das Langsamfahren nicht kennt und dann knapp vor dem Überholten einscheren will. Ich hatte selbst schon so eine Situation und das ist schon brenzlich. Solche Situationen können natürlich immer geschehen, aber viele immer größere Autos verhindert Sichtbeziehungen, die eine Verkehrssituation richtig einschätzen lassen. Das betrifft natürlich besonders niedrigere Verkehrsteilnehmer. Auf dem normalen Liegerad bin ich aber auch nicht viel niedriger als ein Jugendlicher auf einem Rad.
 
Gibt es – gerade aus der Sicht von Fahrern größerer Räder (also auch Lastenfahrräder) – in der Region noch viel Verbesserungsbedarf?

Absolut. Allerdings haben wir auch große Defizite für normale Fahrräder, zumindest für Alltagsradler. Die sollte man als erstes Lösen und dabei gerne große Räder mitdenken. Große Räder sind für mich wie erwähnt Lastenräder, sicher auch Velomobile, aber auch Fahrräder mit Anhängern. Das beginnt mit sicheren und guten Abstellanlagen die überhaupt da und dann auch noch lang genug sein müssen. Das gilt ganz besonders auch bei Wohnbebauungen, aber auch in Gewerbegebiete, wo mehr Platz und ebenerdiger Zugang für größere Räder geschaffen werden muss; Denn große Räder sind in der Regel auch schwerer.  Und es geht weiter mit der Verkehrsführung, die oft unmöglich gestaltet ist - besonders für lange Fahrräder. Man denke nur an den Radweg am Ortsausgang Ebersberg; über den rege ich mich jedes Mal auf. Das sind in meinen Augen bewusste bauliche Maßnahmen um Radfahrer zu gängeln. Auf einem Radweg "Radfahrer absteigen" zu fordern, damit diese ihr Rad über die Straßeneinmündung "zur Gass", dann weiter durch ein sehr enges Drängelgitter schieben und dann erst wieder auf dem benutzungspflichtigen Radweg aufsteigen zu müssen. Klar, dass dies niemand macht und alle dennoch die Einmündung und das Drängelgitter fahrend überqueren. Was ist die Folge? Radfahrende tragen im Falle eines Unfalls die Schuld - das kann es doch wohl nicht sein!

Aus der anderen Richtung kommend ist die Situation eigentlich noch absurder - aber das wäre jetzt in der Ausführung zu lang. Verkehrsführung, die den Vorrang für schwächere Verkehrsteilnehmer anerkennt, und zwar zuerst Fußgänger, dann Radfahrer, dann Kraftfahrzeuge, kann in meinen Augen erst eine attraktive und dem Klimawandel angepasste Mobilität gewährleisten. Solange sichtbar dem Kraftverkehr Vorrang bei der Verteilung des öffentlichen Raums gegeben wird, werden Bürger:innen das auch so wahrnehmen und auch überwiegend so handeln. DAS muss sich zunächst ändern, größere Fahrräder dabei mitzudenken ist dann ein leichtes.  

Hast Du noch ein „normales" Zweirad bzw. Zweitrad?
Ja, ein Tandem. Und ein Faltrad. Aber die nutze ich im Alltag nur noch selten, das Faltrad gerne in Verbindung mit dem ÖPNV, da ist es unschlagbar.

Zu Fuß, mit Auto oder Öffis – wie bist Du mobil, wenn Du nicht mit dem Velomobil unterwegs bist?
Ein Auto haben wir seit über sieben Jahren nicht mehr – und wir sind immer noch ein Sieben-Personen-Haushalt. Als Mitglieder bei den Ebersberger Autoteilern haben wir für den Fall der Fälle schnellen Zugriff auf ein Auto. Im Teilen von Fahrzeugen sehe ich eine große Zukunft. Statt ein eigenes ­Lastenrad anzuschaffen haben wir mit einer größeren Spende das eberrad.de initiiert, ein für alle Bürger*innen kostenlos ausleihbares Lastenrad. Das leihen auch wir uns hin und wieder aus.
In Ebersberg kann man das meiste fußläufig erreichen. Für große Einkäufe nutzen wir gerne das Liegerad mit Lastenanhänger – und bei längeren Strecken natürlich die Bahn. Zu meinen Eltern z. B. brauche ich mit ÖPNV und Bahn 5, mit dem PKW 3,5 Stunden. In der Abwägung, 3,5 Stunden eigentlich nichts Sinnvolles tun zu können oder eben 5 Stunden zu lesen, Vereinsarbeit zu leisten oder auch einfach nichts zu tun, gewinnen eigentlich immer meine Bequemlichkeit und somit die Öffis.
Ich muss noch ergänzen: Das habe ich früher wirklich ganz anders gesehen, da bin ich viel Auto gefahren. Das zeigt aber auch: Verhaltensänderungen sind möglich. Und letztendlich macht Radfahren einfach glücklich!
 
Das Interview mit Jürgen Friedrichs führte Benjamin Hahn von der Energieagentur.
In dem PDF zum Herunterladen wurde das Interview gekürzt.